Sonntag, 21. Juni 2015

I WANT MY HAT BACK von Jon Klassen

Jon Klassen wird mit "I WANT MY HAT BACK" als großer Autor und Illustrator gefeiert. Auch ich bin der Meinung, dass er ein überdurchschnittliches Werk abgeliefert hat. Dennoch bin ich mit meiner Gesamtbeurteilung verhaltener. Die größte Leistung ist in meinen Augen, dass Klassen den von ihm bevorzugten Schluss durchgesetzt hat. Der Bär frisste den Hasen auf. Punkt! Damit hat das Kinderbuch etwas alttestamentliches. Unweigerlich fühlt man sich an "Auge um Auge, Zahn um Zahn" erinnert. Die Geschichte wird jedoch auch in die Moderne transportiert. Es geht nämlich nicht nur darum, Gleiches mit Gleichem zu vergelten, sondern auch darum, dass selbst die "plumpe Ausrede" kopiert wird. Mich erinnert das z. B. an die Mechanismen des Raubfischkapitalismus. Viel wichtiger aber ist: Hier spiegeln sich urkindliche Verhaltensweisen wider. Dadurch ist es eine Geschichte über Rohdiamanten, die noch nicht im Rahmen eines Sozialisatzionsprozesses veredelt worden sind. Unreflektiert übernimmt der Stärkere die Mechanismen, die ihm zuvor präsentiert wurden. Wir sind eben noch nicht beim Mehrfachmord in Charlston angekommen, wo der Täter großzügig von den Hinterbliebenen Vergebung erfährt. Klassens Buch legt jedoch den Grundstein für den Vorleser, um genau über solche Themen mit seinem Publikum zu sprechen. Was mir am Buch weniger gefällt ist Folgendes: Eigentlich könnte das Buch mit Seite 8 enden. Der Bär, der übrigens aussieht wie ein Biber ohne Zähne, trifft den Hutdieb. Bis heute verstehe ich nicht, warum der Protagonist nicht sofort zuschlägt. Vermutlich kann Klassen die Geschichte hier nicht beenden, weil er sonst kaum Gelegenheit hätte, den Bären ebenfalls die scheinheilige Ausrede, er habe den Hasen nicht gefressen, formulieren zu lassen, die ihn schlussendlich ebenfalls als Täter überführt. Dennoch hat man als Leser den Eindruck, dass hier eine Geschichte lediglich in die Länge gezogen wird, um die für Bilderbücher üblichen 32 Seiten zu füllen. Davon erholt sich die Geschichte kaum. Bis heute verstehe ich außerdem nicht, warum der Bär den Dieb erst identifizieren kann, nachdem er dem Hirsch seinen Hut beschrieben hat. Noch viel weniger verstehe ich jedoch, warum der Hase so dumm ist und den Hut nach seiner Begegnung mit dem Bären nicht erst einmal in Sicherheit bringt. Will hier der Autor auch noch die Todsünde "Eitelkeit" vorführen? Überhaupt leuchtet mir nicht ein, warum sich der Hase in einen so langen Dialog mit dem Bären verwickeln lässt. Man hat den Eindruck, der Dieb bringt sich mit seinem ungeschicktes Dialogverhalten erst richtig in Schwierigkeiten. Das dilettantische Verhalten wiegt fast schwerer, als der Diebstahl selbst.
Sehr gelobt wird Klassen auch für seine Illustration. Diese ist durch ihre Schlichtheit und Sachlichkeit tatsächlich beeindruckend. Klassen schafft es vor allem, seine Figuren in einer gewissen Distanziertheit darzustellen. Das ist erforderlich, weil schließlich keines der Tiere, und schon gar nicht Hase oder Bär, als Sympathieträger erscheinen dürfen. Beide bleiben dem Leser deshalb auch bis zum Schluss fremd, was die Kritik an der Handlung der beiden Tiere auch illustratorisch unterstreicht. Beides führt jedoch auch dazu, dass mein Sohn keinen Zugang zu diesem Buch findet. Es scheint mir mehr ein Erwachsenen-, denn Kinderbilderbuch zu sein, was aber durchaus gestattet ist. Beeindruckend finde ich im Übrigen das Farbspiel mit "rotem Hut, roter Seite und roter Schrift". Das ist ästhetisch anspruchsvoll und wirklich großartig gemacht. Leider lässt es mich am Ende aber noch verwirrter zurück, weil ich einfach nicht verstehen kann, warum der Bär diesen markanten roten Hut im ersten Gespräch mit dem Hasen nicht erkennen kann oder will. Mein abschließendes Urteil: Ich greife im Regal viel lieber zu Leo Lionni als zu Jon Klassen.

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