Montag, 15. Juni 2015

Making the Moose Out of Life von Nicholas Oldland

George W. Bush hat 1999, als er für das Amt des US-Präsidenten kandidierte, auf die Frage nach seinem Lieblingskinderbuch mit "The Very Hungry Catterpillar" geantwortet, das jedoch erst auf den Markt gekommen ist, als er 22 Jahre alt war. Die kleine Raupe Nimmersatt ist ein echter Klassiker. Sie ist so gut, dass man tatsächlich auch einem Menschen, der schon Erwachsen ist abnimmt, dass das es sein Lieblingskinderbuch ist. Eric Carle ist eine Institution im Bilderbuchgeschäft. Zugegeben, ich weiss relativ wenig über ihn. Das gilt auch für viele andere berühmte Kinderbuchautoren oder Illustratoren. Dennoch lehne ich mich heute weit aus dem Fenster und erlaube mir anhand von zwei Werken den gesellschaftlichen Wandel und den Wandel des Bilderbuchmarktes zu beschreiben. Dabei lässt es sich auch nicht vermeiden, über die Charaktere der Autoren und Illustratoren zu spekulieren. Fangen wir mit letzterem an: Wenn Sie an den künstlerischen Leiter einer Werbeagentur denken, an was denken Sie dann? Bei mir ist es eine 70 Stundenwoche, Stress, Kompromislosigkeit, perfekte Ergebnisse, marktaffine Produkte und einzigartige Menschen die sich auch auf perfekte Weise selbst zu verkaufen wissen. Ich vermute, dass viele dieser Attribute von Nicholas Oldland erfüllt werden, der mit "Making the Moose Out of Life" am 1. September 2009 ein Buch veröffentlicht hat, dass illustratorische Standards neu definiert hat. Ich selbst bin ein großer Fan von diesem drolligen Elch mit seinen zwei Freunden Bär und Biber. Sie sind ein Augenschmaus und echte Sympathieträger. Jetzt kommt das große "Aber": Noch besser als im Kinderbuch gefallen sie mir auf einem 12-Monats-Kalender und ohne Bilderbuchtext. Denn: Die Geschichte von einem lethargischen Elch, an dem das Leben in nicht auszuhaltender Passivität vorbeizieht, und der sich durch eine klassische "Robinso Crusoe-Geschichte" aus seinem beklemmenden Leben befreit, ist nur im Ansatz hervorragend. Was Oldland jedoch in der zweiten Buchhälfte entwickelt lässt mir so die Haare zu Berge stehen, dass ich trotz hervorragender Illustration im Bekanntenkreis keine Kaufempfehlung für dieses Buch mehr ausspreche. Je weiter man liest, umso mehr bekommt man den Eindruck, als schreibe Oldland im persönlichen Auftrag von Jochen Schweizer. Einziges Ziel: noch mehr Fallschirmsprünge und Parasailing-Ausfahrten sollen verkauft werden. Das Bilderbuch vermittelt nicht mehr, als dass das Leben nur einen Zweck hat: "enjoy yourself". Und das geht, so suggeriert es zumindest das Buch, am besten durch ins Extreme gesteigerte Freizeitbeschäftigungen, für die man im realen Leben nicht nur "Kopf und Kragen" riskiert, sondern auch noch eine Menge Dollars auf den Tisch zu blättern hat. Mein Fazit deshalb: Dieses Buch wurde nicht für Kinder verfasst, sondern vor allem für Erwachsene, die ihrem Kind mit Sprüchen wie "der Papa ist auch Fallschirmspringer, Bungee-Jumper etc." imponieren wollen. Es gibt keinen Bildungs- oder Wertvermittlungsanspruch. Einziger Anspruch dürfte eine möglichst große Auflage gewesen sein. Der Werbechef zeigt, dass er nicht nur in seinem originären Wirtschaftsbereich für steigende Verkaufszahlen sorgen kann, sondern dieselben Mechanismen auch in jedem anderen Bereich funktionieren. Das Bilderbuch wird reduziert auf die Botschaft des Autors, mit jedem beliebigen Produkt am Markt erfolgreich sein zu können. 40 Jahre früher, als Eric Carle den Bilderbuchmarkt revolutionierte, waren die Vorzeichen umgekehrt. Mit "Die kleinen Raupe Nimmersatt", das ist zumindest mein Gefühl, hat Carle sein Fachwissen als Art Director dem Bilderbuchmarkt zur Verfügung gestellt und sowohl optisch als auch mit haptisch für ein bisher nicht dagewesenes Bilderbucherlebnis gesorgt. Gepaar war das alles mit dem Anspruch, das Bilderbuch auch inhaltlich zu revolutionieren. Der starke Fokus auf die Wissensvermittlung und der stark reduzierte und auf das Wesentliche abzielende Text, scheinen dafür die Belege zu sein. Das Gesamtkunstwerk "Bilderbuch" nimmt bei Eric Carle das Kind nicht nur in den Blick, sondern es versucht ausschließlich ihm gerecht zu werden. Leider ist mir die Größe der Erstauflage nicht bekannt, aber ich würde vermuten, dass weder Autor noch Verlag den Plan hatten, damit das große Geld zu verdienen. Tassen, Plüschraupen und diverse Merchandisingartikel sind ebenfalls erst viel später hinzu gekommen, während man bei "Making the Moose Out of Life" das Gefühl nicht los wird, dass es das Bilderbuch nur braucht, damit im "Non-Book-Bereich" die Kassen erst so richtig klingeln. Mein Wunsch für die Zukunft: "Zurück zu Eric Carle was die Orientierung auf das Kind und die Gestaltung des Produktes angeht, bei gleichzeitiger konzeptioneller Integration des Non-Book-Bereichs." Hier heist es auch von Lego lernen.

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